Ruf und Echo.

Aus meinem Leben mit Hugo Blues und Elwood Ball

von Max Ackermann
 
 
 
Finster war's und leer. In toto war es eine dumpfe Zeit. Nein, sie war es nicht … genau in dem Moment nicht mehr, als sich Elwood in meiner Nähe materialisierte. Ich kam vorbei, und dort saßen sie zusammen, mit ihm Bernhard Rusch, aka berusch, und schließlich Thomas Höpfinger, Elwoods Anti-Biograph, in einer rätselhaften Runde. Gemeinsam waren sie ein Trio wie die Dreieinigkeit, drei wie einer in einem zu eng gewickelten Pappkostüm, aber dem eines Kardinals mit Weißbier als Messwein. Nur zu gern würde ich vorgeben, es in diesem Moment auch nur geahnt, ja schon gewusst zu haben, dass aus Bernhard einmal ein Freund, aus Herrn Höpfinger ein Abwägender und aus Elwood ein Künstler werden würde. Aber nein. Doch die Überraschung war umso schöner.

Damals bedachten sie sich und mich mit Latinismen und Lästereien und spotteten reihum. Geistvoll waren sie alle, wissend und neugierig, vielleicht auch ein wenig brummig und sogar bissig im Team und sicher: beschädigt. Denn außenrum war's, wir erinnern uns, finster und leer - und die Dumpfheit brütete über allem und brütete noch mehr Dumpfheit aus, die ihrerseits Plattitüden und Fundamentalismen gebar wie Cthulhu Dämonen, der Protestantismus Evangelikale und die CSU Heloten. Es war ein Klima der Hohlheit und der Überarbeitung und dankbar war man für jeden Funken Andersartigkeit.

Und da waren sie mitsamt, um ihre Pflicht zu tun, sie nicht zu tun: 

berusch, damals schon freundlich, aber noch bitter in Anfällen und überraschenden Mischverhältnissen, ein begeisterter Leser und Sammler und - wie sich später herausstellte - ein begnadeter Motivator und Organisierer. Thomas Höpfinger saß im Eck, streute Spitzen um sich und legte Nagelbretter aus, ganz der arrogante Zyniker am Tisch dieser Tafelrunde, was er - zumindest früher - mit Sicherheit (und Q.E.D.) als Lob empfunden hätte. Denn Höpfinger war der Philosoph des dreieinen Trios, der wütende Kritikaster, der prüfend Ovid neben eine Baumarkt-Werbung hielt - und das nicht zugunsten des Baumarkts oder der Werbung, des Utilitarismus oder des Massengeschmacks. 

Elwood dagegen war der Spielfreudige unter ihnen, lustvoll in seinem Treiben, jemand der Songs der sechziger und siebziger Jahre über Liebe, Wut und Verlassenheit trällerte und dabei Neo-DADA collagierte, oder was sonst er mit einem FAX-Gerät, einem handelsüblichen Kopierer, einer stumpfen Schere, farbigem Papier und Haushaltskleber so alles anstellen konnte. Hätte er einen Schweißbrenner gehabt, hätte er vielleicht eine Rakete gebaut oder das Cavallo di Leonardo (da Vinci) reanimiert und es auf einen scherzhaften Sockel gesetzt, der muht oder ein Lied von Harry Nilsson zum Besten gibt. Elwood baut sich die Welt neu. Aber er nimmt sie auch wahr. Und gibt das Wahrgenommene wieder. Denn er hat - und das war vielleicht das erste, das mir auffiel - einen begnadeten Strich und kann noch heute - in Sekunden und mit einer beneidenswerten Leichtigkeit - Dinge auf einen Bierdeckel, eine Serviette oder eine Leinwand werfen, mit Fineliner, Bleistift oder in Öl, als hätten sie dort ihren wirklichen Platz und würden dort erst wirklich werden. Und ich durfte miterleben, wie er sich, sein eigener Schüler, frei spielte von allem Schulischen.

Ja, gegen die klugen Grübler berusch und Höpfinger war Elwood ganz Bildender Künstler, vergleichsweise Spielkind und Dandy. Er war der poetisch-karnevalistische Tenderenda der Phantast und Flametti aus einem Varieté vor dem Krieg, DADA im realistischen Underground sozusagen. Und: Er ist - schon seinem Künstlernamen, seinem Nom de Paix nach - als Elwood Blues, der Pop-Kultur entsprungen, aber jener einer Zeit, als Pop noch Blues, Rock oder Beat hieß und es - zumindest vorgeblich - ernst meinte mit der Härte und den Schlägen des Herzens wie des Lebens. Elwood selbst kennzeichnete damals vor allem sein Sound aus Stöhnen und Schrei, inklusive Sprechgesang und dem näselndem Aufheulen eines Bob Dylan mit Stimme und Mundharmonika. Aber es stand auch Hugo Ball mit im Raum. Wenn auch nicht der in Schulen schnell mal als Spaßvogel missverstandene Hugo (Schau mal, der macht: "jolifanto bambla ô falli bambla" und ich "Wau Wau"), sondern der mit dem Bischofshut rezitierende Herr Ball, der ernst lächelnde Tote von Sant’Abbondio-Gentilino, Autor von "Kritik der deutschen Intelligenz", mittenmang in einem Heiligenleben und im Byzantinischen Christentum, magischer Priester der Avantgarde, der unbedingt noch etwas versuchen will, um Frieden zu schaffen und Schönheit allüberall. Denn: "Der Grundton ist der einer unentrinnbaren Verzauberung." (Hugo Ball) und Elwoods Musik spielt - wie einst in einem Schweizer Cabaret oder auf einer Burg im Fränkischen - "The Times They Are a-Changin'" oder "Dadadadada, umba, umba, um!“.